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Steven

Kalte Suppe
Steven am 27.01.2006 um 01:30

Heute bin ich mit meiner Freundin fast Zeit gleich zu Hause aufgeschlagen. Ungewöhnlich, aber nichts Besonderes. Wir hatten halt zusammen Feierarbeit.
Eigentlich müssten wir einen solch seltenen Fall gemeinsamer Freizeit innerhalb der Woche sofort ausnutzen und irgendetwas unternehmen. Doch worauf hat man bei solch einem Wetter schon groß Lust? Wir waren uns deshalb schnell einig, heute gemeinsam einen gemütlichen Fernsehabend zu verleben.
Aus reiner Gewohnheit versuchte ich mein Glück beim Kühlschrank, fand aber nur die schon mehr als vertraute Abwesenheit sämtlicher Grundnahrungsmittel vor. Manchmal frage ich mich wirklich, warum ich noch Storm für das Teil bezahle, wenn sowieso nix drin ist. ... Naja, etwas ist ehrlich gesagt schon drin. Ein geschmacksneutraler Joghurt, eine braune Banane und eine Tupper-Dose mit den Überresten der süßsauren Suppe von vor drei Tagen. Schlagartig ist mein Hunger verflogen und ich beschließe, später etwas zu Essen zu bestellen. Aber vorher muss ich mich noch um die Post kümmern.
Rechnungen, Mahnungen und Drohbriefe überwiegend von Unternehmen, bei denen ich ums Verrecken nicht weiß, warum die eigentlich Geld von uns bekommen. Immer wieder muss ich meine Schnecke fragen, ob dies und jenes Schreiben richtig ist. Sie bejat grundsätzlich alles und meint nur, wenn wir eine Rechnung bekommen haben, wird das schon richtig sein und wuselt weiter in der Wohnung rum. Nur gut, dass ich den Part mit den Rechnungen bezahlen übernommen habe, sonst wären wir wahrscheinlich schon längst pleite.
Ich würde nie behaupten, dass meine Freundin nicht mit Geld umgehen könnte, ganz im Gegenteil, allerdings nur dann, wenn sie jemanden zur Sau machen kann.
Einmal haben wir für meine jüngere Schwester eine Jacke zum Geburtstag gekauft. Ich fand, dass sie vielleicht eine Nummer zu klein sein könnte und sagte das meine Schnecke auch. Sie meinte nur dazu, dass wir die Jacke, wenn sie meine Schwester nicht passen sollte, ja immer noch umtauschen könnten. Nein, können wir nicht, sagte ich darauf hin und zeigte auf das Rabat-Schild, auf dem groß und breit ?vom Umtausch ausgeschlossen? stand. Meine Freundin meinte dazu nur lapidar ?Ja-Ja? und grinste mich frech an.
Eine Verkäuferin, die mysteriöserweise plötzlich hinter uns aufgetaucht war und anscheinend unser gesamtes Gespräch belauscht hatte, bekräftigte noch einmal meine vorherige Aussage, was meine Schnecke jedoch mit einem unaufrichtigen ?Natürlich? und einem noch viel breiteren Grinsen quittierte.
Schließlich wurden wir noch einmal an der Kasse und dann nochmal von der Chefin persönlich darauf hingewiesen, dass die Jacke unter keinerlei Umständen, selbst wenn die Hölle zu frieren und im Himmel eine Gang-Bang-Party steigen würde, zurück gebracht werden kann. Also für mich war die Sache damit mehr als klar. Natürlich bin ich auch nicht meine Schnecke.
Ich glaube es war die letzte Ermahnung und vor allem das unglaublich selbstgefällige Auftreten der Chefin das meine Freundin in dem Beschluss bestärkte, dass sie in jedem Fall nochmal vorbeikommen würde.
Am nächsten Tag stellte meine Freundin auch sehr schnell fest, dass die Jacke tatsächlich nicht passte und das ohne, dass meine Schwester sie anprobiert musste, einfach so, nur durch ranhalten. Also zurück ins Geschäft und zur Kasse, wo wir auch gleich von der netten Chefin begrüßt wurden, die seltsamerweise schon ganz genau wusste, was wir wollten.
Das folgende... nennen wir es ruhig ?Gespräch? zwischen meiner Freundin und der kampfbereiten Chefverkäuferin in all seinen entsetzlichen und bizarren Einzelheiten wieder zu geben, würde deine Seiten, liebes Tagebuch, wahrscheinlich in Brand setzen. Darum lass ich es vorsorglich bleiben.
Nur so viel. Nach zehn Minuten war die Verkäuferin bereit die Jacke umzutauschen. Noch mal zehn Minuten später bekamen wir unser (also mein) Geld zurück. Und nach weiteren zehn entlosen Minuten hatte meine Schnecke zwanzig Prozent Rabat auf Sachen, die sie noch gar nicht gekauft hatte und ich einen Kaffee, den ich eigentlich gar nicht haben wollte.
Dummerweise bekommt man von kompliziert formuliert Schreiben undurchsichtiger Internetscheinfirmen sehr sehr selten (echte) Rabatte und noch seltener Kaffee spendiert. Und damit ist das Interesse meiner Kleinen an diesen Dingen auch schon erloschen und ich muss mit meinem beschränkten finanztechnischen Wissen immer wieder aufs neue versuchen unseren maroden Haushalt zuretten. Aber hab ich denn eine Wahl? Ja genau...
Plötzlich macht es ?Bing!?. Das ist nicht metaphorisch gemeint. Mir ist keine von den Mächten des Universums gesandte geniale Idee gekommen. Für so was brauche ich schon mindesten vier Bier und eine halbe Flasche ?vom Gutem?.
Es machte wirklich ?Bing!?. Anscheinend war unsere Mikrowelle mit dem bestrahlen seines neusten Opfers fertig.
Nun muss ich dir, liebes Tagebuch, noch mitteilen, dass ich in den letzten Tagen nicht ganz auf der Höhe war. Auch heute hing ich etwas durch, sonst hätte ich mich bestimmt sofort gefragt, was wohl die Mikrowelle gerade ausgespuckt hatte.
Du erinnerst dich sicherlich daran, dass wir noch drei entfernt lebensmittelähnliche Produkte im Haus hatten. Ein Joghurt, eine Banane und die kalte Suppe. Aber es brauchte nicht lange, bis mich meine Unachtsamkeit gnadenlos einholte.
Als ich mit der Schreibarbeit endlich fertig war, erwischte ich meine Freundin dabei wie sie den letzten Tropfen süßsaure Suppe aus der Tupper-Dose leckte.
?Boah?, sagte ich. ?Du bist ja mutig. Das Zeug steht doch schon seit Tagen im Kühlschrank.?
Dabei verzog ich mein Gesicht.
?Wenn man sie gut kühlt, hält sie sich problemlos eine halbe Woche,? entgegnet meine Freundin altklug.
?Das wird sich der Chinamann auch sagen haben,? konter ich leise, fast flüsternd, damit sie mich bloß nicht versteht.
Sinnlos bei meiner Schnecke. Die versteht jedes Wort, selbst wenn man ganze Ozeane und Kontinente entfernt ist. Ich glaube, das hat was mit Telepathie zu tun. Ach ja... außerdem stehen ich ja auch nur wenige Zentimeter von ihr entfernt.
?Wie meinst du das?? pafft sie mich an.
?Du glaubst doch selbst nicht, dass der Chinamann jeden Tag frische Suppe kocht,? platzt es aus mir heraus. ?Du kannst froh sein, wenn er das Zeug nicht schon dreimal aufgewärmt hat.?
Daraufhin habe ich meine Freundin für eine ganze Weile nicht mehr gesehen. Nur abundzu drangen verdächtige Geräusche aus dem WC an mein Ohr und als ich nachfragte, verfluchte sie mich. Selbstverständlich war die Suppe nicht schuld an ihrem Zustand, sondern nur und ganz allein meine Person. Warum jetzt genau, habe ich nicht ganz verstanden. Doch sie ließ keinen Zweifel daran, dass ich der wahre Grund allen Übels auf diesem Erdenrund bin. Und vom Chinamann wollte sie auch nichts haben.
Keine Angst, liebes Tagebuch, es geht ihr schon wieder besser. Ich stelle gerade fest, dass meine Frühlingsrollen weg sind.

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