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Steven

Ein Herz für Viren
Steven am 20.12.2005 um 20:29

oder
Wie ich Weihnachten rettete

Ja es ist kalt, nass und dunkel geworden. Und mit der Kälte, der Nässe und der Dunkelheit, sind auch all die kleinen Krankheitserreger aus ihrem Sommerschlaf erwacht. Um es kurz zu machen, liebes Tagebuch, heute Morgen habe ich mir die Seele aus dem Leib gekotzt.
Aber keine Angst. Du weißt ja, dass ich die Kondition eines Pferdes habe und wenn Pferde kotzen, ist der Heilungsprozess meist auch schon abgeschlossen.
Trotzdem rotierte mein Magen noch ganz schön und ausgerechnet heute, musste Peter vorbeikommen. Er wollte unbedingt auf ein Bier weg. Da es mir aber noch nicht so gut ging, blieben wir stattdessen Zuhause und beschränkten uns auf Cola Whiskey.
Irgendwann kamen wir auf unser Lieblingsthema, Microsoft und den olle Bill Gates. Gerade Peter kann stundenlang über den kleinen Mann lästern und im Gegensatz zu mir, weiß er, wovon er spricht. Er hat Informatik oder so etwas Ähnliches gelernt. Ich kann eigentlich nur immer stumm nicken und versuchen an den richtigen Stellen zu lachen. Aber heute wollte ich auch mal was sagen, etwas das ich mir schon sehr lange zu Recht gelegt hatte und ergriff kurz entschlossen das Wort. Ob die kleinen Bastarde, die ich heute Morgen nicht vollständig losgeworden bin, Schuld waren oder es an der vierten Mischung lag, weiß ich nicht. Aber kaum hatte ich Peters Aufmerksamkeit, da war die Sache weg, die eigentlich sagen wollte. Einfach weg! Verdammt!
Dir kann so etwas natürlich nie passieren, liebes Tagebuch. Mein Gedächtnis ist allerdings in letzter Zeit wirklich löchrig geworden. Damit ich nicht ganz so blöd da stand, saugte ich mir irgendetwas aus den Fingern und schwafelte über meinen alten Rechner.
Erstaunlicherweise hatte ich damit einen Volltreffer gelandet, Peter wollte sofort meinen alten Computer sehen. Das ging leider nicht, schließlich hatte ich die Krücke vor einem Monat wieder runter in den Keller gebracht.
Peter regte sich plötzlich furchtbar auf, als hätte ich ein Kind da unten eingesperrt. Sein Verhalten hat mich wirklich erstaunt, schließlich hatte ER seine eigene Katze einschläfern lassen, um sich eine fünfhundert Euro teure Operation zu sparen.
Erst als ich ihm versicherte, dass die Kiste luftdicht verpackt war, beruhigte er sich etwas, und fragte mich, wie alt dat Teil nun eigentlich ist.
?Er hat noch ne?Kurbel an der Seite,? antwortete ich, was Peter überhaupt nicht verstand und deshalb setzte ich sofort nach: ?Und er läuft mit der Windows Urversion. Das heißt, wenn er läuft!?
Gemerkt, Tagebuch? Das war ein Insiderwitz, über den nun wirklich keine Sau mehr lachen kann... außer Peter, der bepisst sich jedes Mal, ob wohl ich den, in seiner Gegenwart, wahrscheinlich schon hunderte Male losgelassen habe.
Ja, er jappst wie ein Walross und fragte mich, wie viel ich für den Rechner haben will. Und weil er sich immer noch nicht einbekommen hatte und ich in zwischen bei meinem fünften Cola Whiskey war, dachte ich natürlich, dass er jetzt einen Scherz mit mir macht und erwiderte: ?100 Euro.?
?Abgemacht!? schrie er plötzlich auf und schlug ein, dabei riss er mir mein Glas aus der Hand.
Nach dem Wir die Sauerei weggemacht hatten, harkte Peter nach, ob ich SEINEN Rechner nicht aus dem Keller holen könnte. Erst jetzt kapierte ich, dass er es Ernst gemeint hatte und für einen Moment war ich wirklich hin und her gerissen.
Einerseits brauche ich den Computer noch, alldieweil Spiele wie, DSA, Monkey Iland und natürlich Diceworld unter XP einfach nicht laufen. Außerdem ist Peter ja mein Freund und die alte Kiste ist noch nicht einmal mehr nen? Kasten Bier wert. Anderseits werde ich wohl nie wieder einen Idioten finden, der mir für den Haufen Schrott sage und schreibe hundert Euro abdrückt!
Also machten wir das Geschäft und nach der sechsten Mischung luden wir meinen Excomputer ins Auto. Im Keller entdeckte Peter noch meinen Videorekorder, den er natürlich auch noch haben wollte.
?Zum Tauschen,? meinte er.
Weil ich ein schlechtes Gewissen wegen der 100 Kröten hatte oder vielleicht war es auch nur das Zureden meines guten, alten Freundes Jack, jedenfalls schenkte ich ihm das Teil für umsonst. Und weil ich außerdem so ein verdammt netter Kerl bin, schleppte ich ihm alles noch in seine Wohnung. Dort habe ich die alte Mühle neben neun andere Computer abgestellt.
Ja, Tagebuch, du hast mich schon richtig verstanden! Peter hat neun, inzwischen zehn uralte Computer in seiner Wohnung zu stehen, komplett mit Tastatur und Bildschirm! Und alle laufen! Möchte nicht wissen, was Peter jeden Monat an die Bewag abdrücken muss. Jedenfalls ist jetzt eine Erklärung fällig!
Mehr oder weniger bekam ich die auch von Peter. Also, er sammelt Viren.
Computerviren, falls du dich jetzt wundern solltest, liebes Tagebuch. Aber nicht diese fiesen Mistdinger, die deinen Computer vergewaltigen, Konten leer räumen, Festplatten zerhauen und auf geheimnisvolle Weise Schmuddelbilder auf deinem Monitor erscheinen lassen.
Neeeeiiiiinnnnnn!!! Peter sammelt nur Klassiker, die in einem modernen Netzwerk keine zwei Sekunden überleben würden. Unglaublich aber wahr! Computerviren, die von der rauen Hand der digitalen Evolution gnadenlos ausgesiebt wurden, finden bei ihm ein zweites Zuhause.
Stolz zeigte er mir seine komplette Sammlung und quatschte mich zu. Schmerzlich bemerkte ich, dass Peter mir noch gar nichts zu trinken angeboten hatte und irgendwie ahnte ich, dass es dazu auch nicht mehr kommen würde. Und auf einmal hatte ich überhaupt kein schlechtes Gewissen mehr.
Irgendwann sagte ich so was wie: ?Schwachsinn!? Oder vielleicht war es auch: ?Zeitverschwendung!? oder so etwas Ähnliches. Jedenfalls musste Peter mir sofort ein seine Computerviren vorführen.
Zuerst war sein persönlicher Liebling daran und auf einem Bildschirm erschien ein grob pixliges Bild mit diesem Dinosaurier von Nintendo und der sagte: ?Heute hat Yoshi Geburtstag!?
Da fragte mich Peter grinsend, was ich wohl jetzt machen würde.
Ich zuckte mit den Schultern und Peter tippte ?Happy Birthday, Yoshi!? ein und der Rechner arbeitete weiter.
?Das waren noch Viren!? meinte Peter. ?Echte Kunstwerke, nicht so ne? Arschlochprogramme, die alles kaputt machen!?
Meine Fresse! War der voll! Eine halbe Stunde musste ich seine Vorführung ?total ausgetrocknet? ertragen, bevor ich mich absetzten konnte. Naja, ein paar interessante Sachen waren ja schon dabei. Einer der Letzten war das Virus aus dem Film in dem die Aliens das Weiße Haus in die Luft gesprengt haben. Richtig mit lachendem Todesschädel und allem und nach zehn Sekunden ließ er den Rechner abstürzen.
?Harmlos,? kommentierte Peter. ?Alle Daten sind noch auf der Festplatte... natürlich nur, wenn man sie rechtzeitig abgespeichert hat. Ist ja klar!?
Okkkaaaayyyy, dachte ich mir und machte mich unbemerkt vom Acker.
Was Peter jetzt mit den zehn Rechnern macht oder vor hatte oder sonst was, weiß ich zwar immer noch nicht so genau, aber ich hatte wirklich keine Lust noch weiter nachzufragen.
Zu Hause wartete meine Freundin in der Küche auf mich. Sie hatte gerade Feierabend gemacht und war noch genervt von der Arbeit. Ich entschloss mich sie etwas aufzuheitern und erzählte ihr, was mir gerade passiert war. Sie nahm die Geschichte auch sehr gut auf, besonders die Sache mit den hundert Euro, nur den Teil mit dem Videorekorder ließ ihre Auge plötzlich ganz groß werden.
?Und womit sehen wir uns jetzt unsere Filme an?? schrie sie.
Ich blieb natürlich cool und konterte, dass wir uns gar keine Videos ansehen. Wir haben schon immer nur DVD gekuckt und außerdem habe ich die Videos schon vor einem halben Jahr weggeworfen.
Das hat sie leider nur noch mehr aufgeregt und ich musste ihr erklären, dass die Kassetten nur rumstanden und Staub fingen. Wir sahen sie uns nie an, die Halfte war kaputt und verkaufen konnten wir sie auch nicht, noch nicht einmal mehr verschenken. Naja, vielleicht an Peter, aber unter normalen Umständen wurden wir die Videos nicht mehr los. Also weg mit den Teilen und dann brauchten wir natürlich auch keinen Rekorder mehr. Das verstand sie, doch meine Kleine findet immer etwas, an dem sie sich hoch ziehen kann.
?Und wie sehe ich mir jetzt mein Abi-Video und die ganzen anderen Privatsachen an?? nörgelte sie herum und ich antworte: ?Gar nicht! Die habe ich mit den anderen Kassetten weggeworfen!?
Wusstest du, mein Tagebuch, das Kakerlaken anfangen zulaufen, noch bevor sie wissen warum? Genau so etwas ist mir in dieser Sekunde passiert. Nein, ich bin nicht weggerannt, obwohl das sicherlich das Naheliegendste gewesen wäre. Nein-Nein! Etwas viel Erstaunlicheres ist passiert. Irgendwo in den Windungen meines Kleinhirnes ging eine Schublade auf und ein kleiner Virus schaltete meinen gesamten Hauptrechner ab. Deshalb kam der letzte Satz auch nicht über meine Lippen und verlor sich in den unendlichen Weiten meines Unterbewusstseins.
Ich stand also da, hörte meiner Freundin zu und sabberte etwas.
Scheiße! dachte ich nach fünf Minuten. Weihnachten ist im Arsch! Wenn meine Schnecke rausbekommt, dass ich ihre gesamten Privatvideos auf den Müll geworfen habe, bringt die mich um! Die parkt ihren Opel auf meinen Eiern und lässt es wie einen Unfall aussehen!
?Und was machen wir jetzt?? fragte sie mich nach einer Weile.
?Äh... was??
?Wegen meinen Videos!? bohrte sie erbrammungslos nach.
Glücklicherweise fiel mir gerade noch etwas ein.
?Wir brennen sie auf DVD!? sagte ich schnell und die Augen meiner Schenke leuchteten auf. ?Wir brauchen aber die Originalvideos!?
Nun ist meine Freundin leider nicht annähert so technisch unbegabt, wie man es von einer Frau verlangen konnte und wurde deshalb auch sofort misstrauisch.
?Warum denn das??
?Weil deine Film total abgenutzt sind und es überhaupt keinen Sinn macht, die noch mal zu überspielen.?
Dann erzählte ich ihr irgendwas von entladenen Magnetbändern und eingestaubten Tonköpfen und so was. Erstaunlicherweise nahm sie mir den Scheiß tatsächlich ab. Ich hatte sogar den Eindruck ihr würde die Sache irgendwie gefallen.
Ihre Schulfreundin, mit der sie seit Jahren nicht mehr gesprochen hat, besaß alle Originale der wichtigsten Videos und noch einige andere Filme, die sie aber nicht herausrückte.
?Damit die nicht verschwinden!? äffte meine Schnecke ihre ehemalige beste Freundin nach. ?Die blöde Kuh!?
Das hat sie wirklich gesagt! Meine Freundin war von einer Sekunde auf die andere, so kratzbürstig wie eine beleidigte Katze. So kannte ich sie gar nicht. Etwas Schreckliches musste damals zwischen den beiden passiert sein und das war mit einem Mal wieder da.
So musste sich also Pandora gefühlt haben, als sie damals die dämliche Büchse aufgemacht hatte. Ich fand es aber nicht so schlimm. Meine Freundin hatte jemand anderen gefunden, auf den sie rumhacken konnte und ich hatte Weihnachten gerettet... zumindestens MEIN Weihnachten! HA!
Mit den DVDs brennen kann mir sicherlich Peter helfen. Er schuldete mir sowieso noch wat, wegen dem Rekorder.

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